„Poppy“ ist der englische Name für den leuchtend roten Klatschmohn: Der neue Roman von Alex J. Nitrak „Poppy – wie ich euch liebe“ kommt dahergewirbelt wie ein leidenschaftlicher Sturm der Emotionen und macht seinem Namen alle Ehre. Dabei beginnt alles ganz beschaulich: Die 15jährige Caggie lebt mit ihren Eltern in einer ruhigen Vorstadtsiedlung im bayrischen Deggendorf und langweilt sich in dem trügerischen Idyll halb zu Tode. An einem besonders öden Sommertag sitzt ihr Vater lesend auf der Veranda, während die Mutter sich mit Migräne im Schlafzimmer verschanzt hat, als plötzlich etwas Ungewöhnliches in der kleinen Straße passiert: Ein alter VW-Bus knattert heran und hält vor dem alten herrschaftlichen Nachbarhaus.
Fünf unkonventionelle junge Leute steigen aus und erregen sofort das geballte Misstrauen der neugierigen Nachbarschaft. Einzig Caggie ist fasziniert. Das Erscheinen der coolen Musikerfamilie Wilde lockt das genervte Teenie-Mädchen umgehend aus seinem Zimmer. Caggie schlüpft durch eine Lücke in der Gartenhecke auf das Nachbargrundstück, um die Ankunft heimlich genauer zu beobachten – entzückt darüber, dass endlich einmal etwas Interessantes in ihrem Vorort passiert.
Die coole Hippie-Familie
Die Wilde-Familie ist keine Familie im klassischen Sinn: Ein erwachsenes Geschwisterpaar kümmert sich um zwei Jungen und ein Mädchen im Teenie-Alter. Einer dieser Teenager, der ruhige, sensible Roman, entdeckt Caggie in ihrem Versteck und begrüßt sie freundlich. Da sie ein auffälliges Kleid mit roten Mohnblumen trägt, gibt er ihr den Spitznamen „Poppy“. Und das junge Mädchen verliebt sich Hals über Kopf.
Gemeinsam mit ihren Freunden hilft Caggie alias Poppy den Wildes beim Umzug und der Renovierung der großen Villa. Dabei erlebt sie die ungezwungene, lebenserfahrene Gemeinschaft der Familie und deren geballte Leidenschaft für die Musik. Die Wildes treten als Rockband „Komanda“ bei Konzerten in der Nachbarschaft auf – mit Songs, für die Roman Texte und Melodien entwirft.
Das Verschwinden
Poppy bricht aus der seelischen Erstarrung aus, in der sie und ihre eigene Familie sich seit dem Unfalltod ihres Bruders befinden. Sie schließt sich den Tourneen des Wildes an, um ihrem Schwarm Roman möglichst nahe zu sein. Zwischen den beiden Teenagern entsteht bald eine enge Beziehung, doch während Poppy leidenschaftlich verliebt ist, sendet Roman widersprüchliche Signale. Schließlich verlässt er Poppy und seine Familie abrupt, da er sich beruflich zu sehr unter Druck fühlt und mit seinen eigenen Gefühlen ins Reine kommen will. Er verschwindet auf unbestimmte Zeit ins Unbekannte.
Zurück bleibt eine verzweifelte, todunglückliche Poppy und eine Familie voller Musiker, die durch das Verschwinden ihres Komponisten aus dem Takt geraten ist. Es beginnt eine Phase der Neuorientierung, in der Romans Geschwister schließlich ihre eigene Musikalität entdecken. Und es entstehen neue Verhältnisse, da sich Poppy zunehmend für Romans jüngeren Bruder, den blondgelockten, stürmischen Kolja, interessiert...! Kann es mehr als eine wahre Liebe geben?
Die Dämonen der Vergangenheit
Alex J. Nitrak ist mit ihrem neuen Jugendroman, der eine Zeitspanne von mehreren Jahren beschreibt, eine spannende Coming-of-Age-Story gelungen. Ihre Haupt- und Nebencharaktere sind selbstbewußte Außenseiter, die sich durch die Gemeinschaft in der Gruppe gegenseitig Halt geben. Zwischen den Romanfiguren entstehen verschiedenen Allianzen: Freundschaft, Liebe, Leidenschaft, aber auch berufliche Bündnisse. Durch diese Bedingungen kann sich jeder der Hauptcharaktere nach und nach seinen Platz im Leben erobern.
Mit einem gelungenen Spannungsaufbau enthüllt Alex J. Nitrak die Dämonen aus der Vergangenheit, denen sich ihre Figuren stellen müssen, um sich weiterzuentwickeln zu können. Die Hauptfigur Poppy unterdrückt ihre Schuldgefühle am Tod ihres geliebten Bruders, und die Wilde-Musiker schleppen allesamt ein schweres Erbe mit sich herum: Sie sind aus einer Kommune in Mittelamerika geflüchtet, in der sie als Kinder sich selbst überlassen wurden. Mit Auftritten als Straßenmusiker versuchten sie schon früh, ihr eigenes Geld zu verdienen.
Neue Verwicklungen
Durch das Aufeinandertreffen der fünf Teenager in der alten Villa entstehen posititve Entwicklungen, aber auch viele weitere Verstrickungen. In sehr reflektierten Beschreibungen erleben die Leser alle Dramen des Musikerverbandes mit: erste Erfahrungen mit Liebe, Sex und Leidenschaft, aber auch das Ausprobieren von Drogen sowie eine Vergewaltigung und deren verheerende Folgen.
Das für die Teenager-Zeit typischen Chaos der Gefühle verdeutlicht die Autorin raffiniert durch verschiedene Erzählstränge, die die optionalen Aktions- und Reaktionsmöglichkeiten zeigen, und deren unterschiedliche Auswirkungen auf Poppys Leben. Diese fiktiven Handlungsmuster arbeitet Alex. J. Nitrak laufend in die Romanhandlung ein – optisch abgegrenzt durch andere Schriftbilder.
Prädikat: absolut hinreißend!
Ein weiterer gelungener dramaturgischer Schachzug der Autorin ist es, der dramatischen Liebesgeschichte von Poppy einen Spiegel hinzuhalten, indem sie ihren Roman mit dem Klassiker „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry verknüpft und die Frage nach dessen Interpretationsmöglichkeiten aufwirft.
Fazit: Ein unkonventioneller, dramatischer New-Adult-Roman, der sich mit Leidenschaft seinen Platz im Herzens seiner Leser schafft. Ein geniales Zusammentreffen von Coming-of-Age- und Love-Story! Prädikat: absolut hinreißend!
Autorin
Alex J. Nitrak lebt mit ihrer Familie im Norden Deutschlands. Wir bringen in Kürze ein Interview mit der Autorin.
Alex J. Nitrak: Poppy – Wie ich euch liebe, erschienen im November 2020 im Gegenstromschwimmer Verlag, empfohlen für Jugendliche ab etwa 15 Jahren, 318 Seiten, 14, 99 Euro